Dass nicht nur Großstädte mit innovativen Konzepten aufwarten können, beweist Heinsberg. Die Stadt kann mit ihren 40.000 Einwohnern unter anderem eine eigene Klimaschutzsiedlung, ein E-Ladesäulennetz und ein Brennstoffzellenprojekt vorweisen. Wir haben uns mit lekker Marketing Manager Ingo Jennissen in Heinsberg über die Idee einer kleinen Stadt der Zukunft unterhalten.
Städte rüsten sich für eine nachhaltige Zukunft, um das Leben späterer Generationen abzusichern und die Gegenwart besser zu machen. Bekannt sind dabei Beispiele wie Berlin, Hamburg oder Kopenhagen. Sie versuchen mit großangelegten Initiativen einen Wandel hin zu einem nachhaltigen, urbanen Leben mithilfe von effizienter Technologie sowie Förderung einer aktiven Zivilgesellschaft voranzutreiben.
In Deutschland geht die Idee der „Smart City“ auf Wolfgang Tiefensee, den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Leipzig zurück. Mit der Leipziger Charta ließ dieser ein Konzept zur Entwicklung der nachhaltigen europäischen Stadt der Zukunft entwickeln. Und im Zuge dessen haben deutsche Großstädte deutlich nachgezogen und eigene Konzepte entwickelt, die Energieerzeugung, Mobilität und Architektur deutlich effizienter und nachhaltiger gestalten sollen. Und zwar sehr eng zusammen mit der Bevölkerung.
Auch Kleinstädte müssen und wollen nachhaltig werden
Schon lange wurde die Kritik in diesem Zusammenhang laut, dass Kleinstädte und ländliche Gegenden bei solchen groß angelegten Ansätzen gerne in Vergessenheit geraten. Doch es gibt eine Vielzahl an Beispielen, an denen auch kleinere Orte eine beispielhafte Zusammenarbeit von Politik, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft vorleben.
Ingo Jennissen arbeitet und lebt in Heinsberg, direkt an der holländischen Grenze, etwa eine Stunde von Köln entfernt. Hier befindet sich auch die Geschäftsstelle von lekker Energie neben dem Hauptsitz in Berlin. Das Unternehmen hat zusammen mit anderen lokalen Akteuren wie dem Netzbetreiber Alliander, der Volksbank Heinsberg dem Bauunternehmen Frauenrath, der Stadtverwaltung, der Werbeagentur Minkenberg Medien und vielen weiteren Akteuren selbst eine eigene Smart City-Initiative ins Leben gerufen.
Ingos Ansicht nach bedeutet smart “alles, was zu einem besseren Leben in einer Community beiträgt” und das kann sehr vieles sein: “Digitalisierungslösungen oder künstliche Intelligenz und Technologien, die auf Nachhaltigkeit und regenerative Energien setzen, etwa bei Mobilität, Wohnen, Soziales oder Energie-Speicherung”.
Die Initiative bündelt Vorhaben der Stadtbewohner
In Heinsberg sind aus dem Zusammenschluss der lokalen Akteure und Bürger bereits erstaunliche Projekte entstanden. Es gibt e-Ladesäulen für Elektroautos und Windräder, die in einer gemeinsamen Genossenschaft betrieben werden. In einer Kooperation mit dem Unternehmen Solid Power und der Heinsberger Volksbank wurden Mini-Kraftwerke für den privaten oder gewerblichen Einsatz verfügbar gemacht. Mithilfe von Brennstoffzellen-Technologie können im Jahr 13.000 Kilowattstunden Strom und 5.200 Kilowattstunden Wärme erzeugt werden. Nicht nur lässt sich so das Stromnetz dezentralisieren. Es kommt auch zu gewaltigen CO2-Einsparungen.
Dass diese Einsparungen aber statt eines Einbruches an Lebensqualität eher zu einer neuen, besseren führen können, beweisen die zusammenstehenden Gebäude, welche die Initiative als Klimaschutzsiedlungen bezeichnet. In einem Konzept aus zeitloser Architektur sowie moderner, energiesparender Bauweise und Technologie sollen gute Nachbarschaft und generationsübergreifendes Zusammenleben mit Nachhaltigkeit kombiniert werden.
Das Besondere ist, dass Heinsberg dabei nicht ausschließlich auf Technik setzt und die Energiewende vorantreibt. Die Bürger sollen bei alledem nicht vergessen werden.
Durch aktives Zugehen auf die Menschen in Heinsberg werden Probleme schnell klar und Mitstreiter für weitere lokale Initiativen gefunden. Auf diese Weise können unter Bürgern Synergien aufgedeckt werden, von denen man gegenseitig profitiert. Etwa, wenn einzelne Menschen ähnliche Vorhaben hegen. Dazu gehört zum Beispiel die Installation von Solaranlagen auf Dächern. “Die bringen wir zusammen.”, sagt Ingo, “gemeinsam können sich Interessenten doch viel besser informieren und günstiger einkaufen als jeder für sich.”.
“Wir stehen erst am Anfang”
Laut Jennissen steht die Bewegung der Smart Cities erst am Anfang, gerade bei den Potenzialen der Digitalisierung. Eine Einschätzung, die auch andere teilen. Im Gespräch mit dem Magazin “WIRED” sagt der KPMG-Analyst Nicolas Sonder:
“Wir können es uns nicht leisten, den digitalen Wandel zu verschlafen. Deutsche Kommunen würden den eigenen Datenbedarf und den ihrer Bürger und Unternehmen nicht mehr in den Griff bekommen. Unternehmensabwanderungen und die Schwächung der Wirtschaftsstandorte dürften die Folge sein. Außerdem wäre mit einer weiteren Zuspitzung des demografischen Wandels zu rechnen, da immer mehr Menschen in die wenigen Smart Cities ziehen würden.”
Vorbild in Sachen Digitalisierung ist für viele Städte die estnische Hauptstadt Tallinn. Trotz ihres mittelalterlichen Ambientes und geringer Stadtgröße kann diese zu Recht stolz darauf sein, über eine papierlose Regierung und kostenlosen Nahverkehr mit Robotersteuerung zu verfügen. Sie wird oft als Stadt der Zukunft bezeichnet, wenn europäische Politiker nach einer Referenz suchen.
“Die alltäglichen Bedürfnisse zwischen den Menschen in Metropolen und der Peripherie unterscheiden sich.” meint Ingo dazu. Seiner Ansicht nach stehen im Vergleich zu Großstädten wie Berlin mit seinem Ausbau moderner Mobilitätskonzepte vor allem Themen wie der Ausbau des Breitbandinternets in ländlichen Gegenden im Vordergrund. Erst dann kann man sich mit weiteren Ansätzen umfassender Digitalisierung überhaupt beschäftigen.
Smart City ist Pionierarbeit, die manchmal belächelt wird. Dabei können wir unsere Zukunft selbst mitgestalten. Mit smarten Ideen und Menschen, die sie umsetzen. Denn eines ist für Ingo ganz klar: “Gemeinsam ist man stärker!”